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In guten Händen

Die neue Bundesregierung muss der Pflegepolitik die höchste Priorität zuordnen, so Franz Wagner, Pflegeratspräsident

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Pflegekräfte werden nahezu überall dringend gesucht. FOTOS: DPA

In guten Händen

Von Gerald Dietz Die Frage, wie es mit der Großen Koalition in der Pflege weitergeht, beschäftigt Betroffene und Institutionen der Branche schon seit einiger Zeit. „Die neue Bundesregierung muss der Pflegepolitik die höchste Priorität zuordnen“, forderte der Präsident des Deutschen Pflegerates (DPR), Franz Wagner kürzlich im Vorfeld des Deutschen Pflegetages in Berlin. Diese Legislaturperiode werde darüber entscheiden, ob die Krise in der Pflege bewältigt wird und man den pflegerischen Herausforderungen der Zukunft begegnen könne.In der Tat scheint trotz der zurückliegenden Reformen wohl nicht nur in der vollstationären Pflege weiter Handlungsbedarf zu bestehen. Das legt zumindest das Pflege- Thermometer des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (DIP) vor, das Thema des Pflegetags war. „Die Ergebnisse zeigen auf, unter welchem enormen Druck die teil- und vollstationären Einrichtungen stehen“, sagt der stellvertretende DIPLeiter Michael Isfort. Demnach kann von einem Nachlassen des Bedarfs an Heimkapazitäten keine Rede sein. 71 Prozent der befragten Pflegeeinrichtungen gaben laut der bundesweiten, repräsentativen Studie an, dass bei ihnen Wartelisten auf vollstationäre Langzeitpflegeplätze bestehen. Lediglich 38 Prozent beurteilten das Angebot der vollstationären Pflege in ihrer Region als umfänglich gesichert.

Artikel veröffentlicht: Freitag, 23.03.2018 12:00 Uhr

"Die neue Bundesregierung muss der Pflegepolitik die höchste Priorität zuordnen."

Franz Wagner, Pflegeratspräsident

Als Nadelöhr der Entwicklung wird dabei von den Einrichtungen der Fachkräftemangel gesehen. Vier Fünftel sehen im Fehlen an Bewerbern die Ursache. 84 Prozent gaben an, Schwierigkeiten mit der zeitnahen Besetzung offener Stellen zu haben. Und in etwa der gleiche Anteil meint, eine Abnahme der Qualität der Bewerbungen beobachten zu können.

Die angespannte Situation bekommt natürlich zuallererst das vorhandene Pflegepersonal vor Ort zu spüren. Befragte Leitungskräfte gaben an, gegenüber dem Vorjahr steigende Belastungen für die Beschäftigten beobachten zu können. Anzeichen dafür seien etwa eine Erhöhung der Krankheitsdauer (43 Prozent), eine gestiegene Zahl der Krankentage (41 Prozent) und eine Zunahme der Schwere auftretender Krankheiten (31 Prozent). Auch eine Steigerung der Anzahl geleisteter Überstunden wird ins Spielgebracht (28 Prozent).

„Die letzten Pflegereformen haben zahlreiche Leistungsverbesserungen gebracht – davon hat die vollstationäre Pflege aber nicht im gleichen Maße profitiert wie die ambulante“, stellt Martin Litsch, Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes fest. Deshalb sei es folgerichtig, wenn der Gesetzgeber jetzt bei den Pflegeheimen nachjustieren würde. Das im Koalitionsvertrag verabredete Maßnahmepaket könne zwar die Personalausstattung mit Fach- und Betreuungskräften sowie die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessern, so Litsch. Zu einem ehrlichen Politikstil gehöre aber auch die Einschränkung, dass die Personaldefizite in der Pflege nicht von heute auf morgen beseitigt werden können.

Handlungsbedarf sieht der AOK-Bundesverbandschef auch bei der Pflege in Kliniken. „Wenn wir im Krankenhaus etwas tun wollen, dann müssen wir dort auch dringend moderne Strukturen schaffen, die sich am Bedarf der Patienten orientieren“, so Litsch. Zudem müssten Kliniken und Abteilungen gebündelt werden, um größere Kompetenzzentren für bestimmte Krankheitsbilder zu schaffen.

Um die mit dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel wachsenden Aufgaben bewältigen zu können, wird es auch eine bessere Zusammenarbeit aller an der Pflege Beteiligten geben müssen. „Menschen, die Pflege benötigen, sind meist nicht nur auf Pflegefachpersonen angewiesen, sondern auch auf Unterstützung anderer Gesundheitsberufe“, stellt Pflegetagspräsident Wagner fest. Um die dafür nötige Teamarbeit zu erleichtern, müsse aber noch in allen Sektoren gearbeitet werden.

Immer mehr Pflegebedürftige

Die Zahl der Pflegebedürftigen ist deutlich angestiegen. Waren 2016 noch 2,75 Millionen bei den Pflegekassen registriert, wurden im Herbst vergangenen Jahres bereits 3,1 Millionen und damit nahezu 13 Prozent mehr dort verzeichnet.

Vor acht Jahren lag die Zahl noch bei zwei Millionen pflegebedürftigen Menschen. Weit mehr als die Hälfte aller zu Betreuenden wird laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums zu Hause von Angehörigen und Pflegediensten versorgt.

Jeder elfte Beschäftigte pflegt zusätzlich

360 000 Berufstätige betreuen neben ihrem Job Angehörige

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13 Stunden pro Woche pflegen Berufstätige Angehörige. FOTO: DPA

Jeder elfte Arbeitnehmer in Deutschland betreut zusätzlich zu seinem Job einen pflegebedürftigen Angehörigen. Das geht aus einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hervor.

Unter den älteren Beschäftigten ab 60 Jahren kümmert sich sogar bereits jeder fünfte um einen Pflegefall in der Familie. Pro Woche werden demnach durchschnittlich 13,3 Stunden für die Pflege aufgewendet. Bei jedem fünften betroffenen Arbeitnehmer sind es sogar 20 Wochenstunden und mehr.

Trotzdem bekommen der Studie zufolge nur fünf Prozent der Betroffenen zusätzliche Auszeiten in ihrem jeweiligen Unternehmen. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach forderte Politik und auch Arbeitgeber deshalb auf, umgehend zu handeln. Notwendig sei unter anderem ein besserer gesetzlicher Rahmen für selbstbestimmte Arbeitszeiten, so Buntenbach.

Ähnliche Forderungen stellte Ulrike Mascher, die Präsidentin des Sozialverbands VdK auf: „Wir brauchen dringend eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige – ähnlich wie das Elterngeld – und eine bessere rentenrechtliche Anerkennung von Pflege.“

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält die bisherigen Entlastungsangebote für die Betreuenden für nicht ausreichend, weil die Zahl der berufstätigen Pflegenden viel größer sei als von der Politik angenommen.„Es reicht also nicht aus, nur Hauptpflegepersonen zu zählen, die der Pflegeversicherung bekannt sind“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Schließlich ist es nicht selten ein Netzwerk von berufstätigen Angehörigen, die sich die Pflege teilen.“